Zusammen geht´s besser
Karin Müller hat für ihre zweite Bachelorarbeit niedergelassene Gynäkologinnen und Gynäkologen befragt, was sie von einer Zusammenarbeit mit Hebammen in der Schwangerenvorsorge halten.
International gilt die Hebamme als DIE Fachfrau für die Schwangerenbetreuung. Die WHO (2001) sieht die Schwangerenvorsorge durch Hebammen als optimale und risikomindernde Betreuung der gesunden Schwangeren an. Die ICM schreibt in ihrem Positionspapier: „The absence of midwifery care during pregnancy […] promotes the medicalisation of pregnancy and childbirth.” (ICM 2002, Abs. 1)
Finanzielle Nachteile
Aufgrund der gesetzlichen Regelung des Kinderbetreuungsgeldbezugs in Österreich (Art.1 §7 Abs1 KBGG) erfahren Frauen jedoch finanzielle Nachteile in Form von Kürzungen des Kinderbetreuungsgeldes, wenn sie die Vorsorgen nichtbei einem Arzt/einer Ärztin durchführen lassen. Diese Regelung führt faktisch zu einem Ausschluss der Hebammen von der Schwangerenvorsorge. Dazu kommt, dass die Kosten für eine Schwangerenbetreuung durch eine Hebamme nur im Fall einer geplanten Hausgeburt oder ambulanten Geburt von der Krankenkasse übernommen werden (ÖHG 2009, S. 23). Die Zusammenarbeit von Hebammen mit niedergelassenen Gynäkologen und Gynäkologinnen stellt eine Möglichkeit dar, als Hebamme dennoch schwangere Frauen betreuen zu können.
Änderungsbedarf
Der BDH hat hierzu 2006 eine Expertise verfasst. Darin heißt es: „In einer neuen Aufgabenverteilung und der Entwicklung neuer Kooperationsformen sieht der Bund Deutscher Hebammen neben der Professionsentwicklung des Hebammenberufes grundsätzlich die Chance, der Medikalisierung und Technisierung der Geburtshilfe […] sowie einer Über-, Unter- und Fehlversorgung in dieser Phase durch den stärkeren Einbezug der Hebammenexpertise entgegen zu wirken.“
Studien weisen darauf hin, dass Frauen unterschiedliche Ansprüche an die Betreuung durch Hebammen und GynäkologInnen haben und sich eine ergänzende Betreuung durch beide Berufsgruppen wünschen. Deshalb sollten Kooperationen in durchaus unterschiedlichen Ausprägungen und Settings zwischen Hebammen und Ärztinnen/Ärzten gefördert werden.
Vorteile
• Durch die Nutzung der jeweils spezifischen Kompetenzen werden alle Möglichkeiten einer professionellen Versorgung voll ausgeschöpft (Wolber, 2005, Abs. 1).
• Hebamme und Arzt/Ärztin übernehmen verschiedene Rollen gegenüber der Schwangeren. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf ein und dieselbe Frau und der Austausch zwischen Arzt/Ärztin und Hebamme ermöglichen eine ganzheitlichere Hilfestellung. Das erhöht sowohl die Selbstsicherheit als auch die Zufriedenheit der Schwangeren (Bauer, Hauffe & Kastendieck, 1991, S. 148; Lange, 2005, S. 265).
• Durch die örtliche Nähe von Arzt/Ärztin und Hebamme ist eine gegenseitige Vorstellung kurzfristig umsetzbar. Die Frau muss die vertrauten Räume nicht verlassen. (Halstrick, 2005, S. 94; Lange, 2000, S. 80; Lange, 2005, S. 265).
• Hausbesuche durch die Hebamme sind ein niedrigschwelliges Versorgungsangebot und ermöglichen einen Einblick in das familiäre Umfeld der Frau und damit ein intensiveres Eingehen auf die psychosoziale Situation der Schwangeren (Lange, 2005, S. 265).
• Durch den gegenseitigen Austausch wird die Kompetenz beider Berufsgruppen gesteigert (Höfer, 2003, S. 9).
• Durch eine gemeinsame Betreuung lässt sich die Zahl der Frühgeburten senken. (Lange, 2000, S. 83). Hildebrandt (2009, S. 12) berichtet von einer deutlich geringeren Zahl an Schwangerschaftskomplikationen und stationären Aufenthalten.
• Die Zusammenarbeit mit der jeweils anderen Profession kann als Bereicherung, die Arbeit im Team als lustvoll erlebt werden (Lange, 2000, S. 82; Lange, 2005, S. 261).
• Eine Zusammenarbeit bringt für die Hebamme einen erleichterten Zugang zum Arbeitsgebiet der Schwangerenvorsorge (Lange, 2005, S. 261). Weiters kann sie die vorhandene Infrastruktur der Arztpraxis nutzen (Peitz-Zimmermann, 2003, S. 12).
Sicht der Frauen
Das medizinische Versorgungssystem ist allgemein verbreitet und anerkannt. Daher darf es nicht verwundern, dass Frauen in diese Richtung sozialisiert sind und die Betreuung durch eine Hebamme als geringer qualifizierte Versorgung verstanden werden könnte (Milde 2000).
Von Rahden (2003) kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die Erwartungen an die beiden Berufsgruppen sehr verschieden sind. „Bei der Hebammenvorsorge wird in erster Linie das gesucht, was die ärztliche Untersuchung vermissen lässt: Gespräch, seelische Unterstützung und Ratschläge“.
In der Befragung von Berndl (2003) im Raum Linz kam zutage, dass Frauen kaum über die (zusätzliche) Betreuung durch eine Hebamme in der Schwangerschaft informiert werden. Bei fast der Hälfte der Frauen wird von den Gynäkologen und Gynäkologinnen das Thema Geburtsvorbereitungskurs nicht angesprochen, und mehr als die Hälfte der Frauen geben an, mit ihrem Arzt / ihrer Ärztin nicht über die bevorstehende Geburt gesprochen zu haben. „Die Geburt wird von vielen als eigenständiger Abschnitt betrachtet, mit welchem der behandelnde Arzt eigentlich nichts zu tun hat.“
Voraussetzungen
Frauenärzte und -ärztinnen begleiten Frauen durch verschiedene Lebensphasen, oft über die ersten Verhütungsfragen als Teenager bis zu Schwangerschaft und Geburt und darüber hinaus. Es ist verständlich, dass sich die meisten schwer tun, wenn sie gerade in der Zeit der Schwangerschaft die Kompetenz an die Hebamme abgeben und sich aus der Betreuung zurückziehen sollen.
Für eine Zusammenarbeit sind einige grundlegende Voraussetzungen notwendig (vgl. Verhaltenskodex von Hildebrandt et al 2000, S. 197-203). Grundlage dieses Kodex ist die Feststellung, dass zwei Berufsgruppen dieselbe Zielgruppe haben und ihre Berufsbilder sich in wesentlichen Aufgabenbereichen überlappen. Die Hebamme hat im Falle eines unkomplizierten Verlaufs Handlungsfreiheit, ist bei Pathologien jedoch klar dem Arzt unterstellt. Aus dieser Doppelrolle resultieren Unsicherheiten beider Berufsgruppen im Umgang miteinander. In diesem Modell respektieren beide Berufsgruppen ihre eigenen Bedürfnisse sowie die Bedürfnisse der jeweils anderen Profession. Ein zu respektierendes Bedürfnis der Hebamme ist etwa: „Ich möchte die unkomplizierte Schwangerschaft […] souverän und vom Arzt ungestört entsprechend meines Berufsbildes begleiten und dabei den Arzt als wahren Beistand in Bereitschaft wissen.“ Der Arzt möchte die Schwangere kennen – „nicht aus Misstrauen, sondern aus eigenem Sicherheitsbedürfnis, denn im Falle der Komplikation muss [er] alle medizinischen und psychologischen Handlungsspielräume haben“. Damit die bestehende natürliche Konkurrenz die Betreuung der Frau nicht behindert, wird für die bestmögliche Begleitung der Frauen eine klare Kompetenzverteilung vorgeschlagen.
Ein Beispiel gelungener Zusammenarbeit
In einer Praxis, in der zwei Hebammen und eine Frauenärztin eng zusammenarbeiten, wird von beiden Berufsgruppen sehr viel Zeit in Gespräche, Beziehungsaufbau und Kontakt zu den Schwangeren investiert. Das gemeinsame Ertasten des Bauches und die Wahrnehmung der Kindbewegungen stellt einen zentralen Punkt der Hebammenbetreuung dar, sodass die Frauen sensibel für ihre eigenen Empfindungen werden und der Kontakt zum Kind wächst, wodurch das Bedürfnis nach absichernder Medizin verringert wird. Durch die Zusammenarbeit gewinnen die Betreuerinnen an Zeit für ihre jeweils eigentlichen Aufgaben. Zudem ist es in den Jahren 1994-1998 nur bei elf von 677 betreuten Frauen zu einer Frühgeburt gekommen, ein Anteil von 1,6% (Lange, 2000, S. 77-86).
Befragungsergebnisse
In meiner Studie habe ich Fachärzte und -ärztinnen für Gynäkologie und Frauenheilkunde befragt, die ihren Berufssitz in Wien haben und sowohl mit, als auch ohne Kassenvertrag tätig sind. Von allen niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen in Wien (n= 357) wurden 11 Frauen (sechs nur niedergelassen, fünf auch angestellt) und 25 Männer (13 nur niedergelassen, 12 auch angestellt) mittels geschichteter Zufallsstichprobe ausgewählt. Im Feburar 2009 wurden die Fragebögen versandt.
Von den 36 per Post ausgesandten Fragebögen wurden 19 ausgefüllte Fragebögen – 11 von einem Gynäkologen, acht von einer Gynäkologin – retourniert. Die Rücklaufquote betrug damit 52,8%. 63,2% der Befragten arbeiten nicht mit einer Hebamme zusammen und haben dies auch in der Vergangenheit noch nie getan (100% der Frauen, 36,4% der Männer). Zwei Gynäkologen (10,5%) gaben an, in der Vergangenheit mit einer Hebamme zusammengearbeitet zu haben, fünf Gynäkologen (26,3%) tun dies momentan. Insgesamt hat also ca. ein Drittel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Hebammen. Möglicherweise liegt hier ein Bias vor, und es waren Ärzte und Ärztinnen mit positiven Erfahrungen eher bereit, an der Befragung teilzunehmen.
Als Formen der Zusammenarbeit wurden angeführt: Hebamme in der Ordination angestellt, Hebamme hält in der Ordination Geburtsvorbereitungskurse ab, freiberufliche Hebamme arbeitet in der Ordination mit, Zusammenarbeit mit einer Hebammenordination bzw. mit den Hebammen einer geburtshilflichen Abteilung.
Positive und negative Aspekte
Die mit Hebammen zusammenarbeitenden Ärzte sehen in der Kooperation folgende Vorteile: Meinungs- und Erfahrungsaustausch, Zeitersparnis, Lust am Arbeiten im Team, bessere Geburtsvorbereitung, bessere Betreuung der Frauen und weniger Komplikationen, zusätzliches Angebot, Hebamme nimmt Arbeit ab und beantwortet Fragen von Schwangeren aus ihrer Sicht, ganzheitlichere Betreuung, die Selbstkompetenz der Frau wird gestärkt, mehrere Ansprechpartner für die Frau, kurze Wege bei Fragestellungen an die jeweils andere Berufsgruppe, mehr Zeit für die Betreuung, ambulante Geburt, weniger Risiko, höhere Stillquote, angestellte Hebamme ist IBCLC-Stillberaterin.
Die Frage, welche Nachteile die Gynäkologen, die bereits Erfahrung mit der Zusammenarbeit mit einer Hebamme haben, für ihre berufliche Arbeit sehen, wurde folgendermaßen beantwortet: keinerlei Nachteile, vermehrter Zeitaufwand für internen Informationsfluss, finanzielle Nachteile, Frauen stellen noch mehr Fragen, divergierende Meinungen können auftreten.
„Würden Sie niedergelassenen KollegInnen eine Zusammenarbeit mit einer Hebamme im Bereich der Schwangerenvorsorge empfehlen?“ Die fünf Ärzte, die aktuell mit einer Hebamme zusammenarbeiten, beantworteten diese Frage mit Ja. Die beiden Gynäkologen, die in der Vergangenheit mit einer Hebamme zusammengearbeitet hatten, schrieben „Jein“ bzw. „weiß nicht“, wobei einer von ihnen ergänzte: „Irgendwie kam unterschwellig herüber, dass wir Frauenärzte bei normalem Geburtsverlauf eigentlich überflüssig sind“.
Als wesentliche Unterschiede in der Schwangerenbetreuung formulierten die Befragten: Hebammen nehmen sich für die Schwangerenbetreuung mehr Zeit – persönlichere Betreuung.
Die Hebammentätigkeit wird klar mit dem physiologischen Schwangerschaftsverlauf assoziiert, während der Arzt / die Ärztin für die Pathologie bzw. für beide Bereiche als zuständig gesehen wird.„GynäkologInnen stellen den Ultraschall – organische / genetische Gesundheit in den Vordergrund.
Hebammen die Schwangerschaft“. Manche Frauen stellen Fragen eher einer Hebamme als einem (männlichen) Gynäkologen, Hebammen machen Hausbesuche.
Fazit
Die alleinige Betreuung nur durch eine Frauenärztin oder nur durch eine Hebamme hält Seehafer für obsolet (2009, S. 13). Hebammen stärken die Körperwahrnehmung und Eigenverantwortung der Schwangeren, die ärztliche Betreuung trägt dem Sicherheitsbedürfnis vieler Paare Rechnung. (vgl. AKF & BDH 2000, Abs. 1). „Polarisierung und Konkurrenz zwischen ärztlicher und Hebammenbetreuung sollte vermieden und vielmehr eine partnerschaftliche interdisziplinäre Zusammenarbeit angestrebt werden, da beide Berufsgruppen Betreuungsaspekte bieten, die sich ergänzen und den Wünschen und Bedürfnissen der Schwangeren entsprechen.“ (von Rahden, 2003, S. 95) Oder wie Lütje es bei seinem Vortag 2007 in Linz ausdrückte: „Die Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme in der freien Praxis ist ein reines Win-Win-Geschäft!“
Das Literaturverzeichnis kann gerne in der Redaktion der Österreichischen Hebammenzeitung angefordert werden.
Sie lebt in Niederösterreich, ist Mutter einer Tochter und seit kurzem Mitglied des Redaktionsteams der ÖHZ.